Das Lager in Liebenau – die Schwierigkeit einer Annäherung

Ein Grazer Bezirk ist seit ein paar Monaten durch seine Vergangenheit wieder verstärkt im öffentlichen Interesse. In Liebenau gab es auf dem Gelände der Grünangersiedlung ein Lager für ZwangsarbeiterInnen. Zu Kriegsende spitzten sich die Ereignisse an diesem Ort noch zu. Ungarische Jüdinnen und Juden machten in Graz Zwischenstation auf dem Weg nach Mauthausen, im April 1945 kam es auf dem Lagergelände zu Verbrechen. Viele der ankommenden Jüdinnen und Juden waren aufgrund der bereits zurückgelegten gewaltigen Wegstrecke total entkräftet und krank. Die Lagerleitung weigerte sich, diesen Menschen Medikamente zu geben, an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen kam es zu Erschießungen. Nach Kriegsende konnten einige Leichen exhumiert und am Israelitischen Friedhof in Graz beigesetzt werden. Nur kurze Zeit nach den Exhumierungen fand im September 1947 der Liebenauer-Prozess vor einem britischen Militärgericht statt. In der Nachkriegszeit geriet dieses Ereignis in Vergessenheit. Das Lager bestand nach Kriegsende als Flüchtlingslager weiter, erst Jahre später ersetzte die Stadt die desolaten Baracken durch Holzbauten.

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Jugendliche auf Spurensuche

Grazer Schülerinnen und Schüler begeben sich auf Spurensuche in ihrem Heimatbezirk

Zwei Jugendgruppen der NMS Dr. Renner und des Wirtschaftkundlichen Gymnasiums in Graz beschäftigen sich für das Projekt „Generationendialog goes Youtube“ seit dem letzten Schuljahr mit der Geschichte des Bezirks Liebenau. Sie wollten umfangreichere Informationen über die Geschichte des 2. Weltkriegs in ihrer Heimatstadt sammeln. Für die Jugendlichen der NMS Renner ist es eine Spurensuche vor der eigenen Haustüre, denn ihr Schulgebäude befindet sich direkt auf dem ehemaligen Lagergelände. Die Jugendlichen suchten intensiv durch Flugblätter und persönliche Kontakte nach Grazerinnen und Grazern, die noch Erinnerungen an dieses Lagergelände haben. Leider haben wir bis dato niemanden gefunden, der uns eine Auskunft über die Ereignisse während des 2. Weltkriegs geben könnte. Im Frühling interviewten wir Herrn Mag. Schaffer, er beobachtete als Kind die Marschtruppe ungarischer Jüdinnen und  Juden nördlich von Graz. Er beobachtete den vorbeiziehenden Zug von halb verhungerten Menschen auf dem Weg nach Mauthausen. Obwohl er während des Kriegs in Graz-Gösting lebte, hatte er keine Ahnung von dem riesigen Lager im Süden seiner Heimatstadt. Herr Dr. Károly Gémes aus Ungarn erlebte als junger Student in Budapest Verhaftungswellen ungarischer Jüdinnen und Juden. Nach Kriegsende kam er nach Graz und lebt heute ganz in der Nähe des ehemaligen Lagergeländes. Auch für ihn waren diese fürchterlichen Ereignisse bis jetzt unbekannt.

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Gelebter Generationendialog

Durch Medienberichte und eine Gedenkveranstaltung rückte dieses Thema verstärkt in das Bewusstsein der dort lebenden Bevölkerung. Den Jugendlichen ist es auch gelungen, die Stimmen der Bewohner durch Straßeninterviews einzufangen. Mehrheitlich haben die Interviewten bestätigt, dass niemand etwas von der Geschichte ihrer Wohngegend gewusst hat und dass dieses Kapitel nie ein Gesprächsthema bei der Bevölkerung war. Sehr positiv haben sie die Aktivitäten der Jugendlichen bewertet, ebenso die Errichtung eines Gedenkzeichens bzw. die Initiierung einer Gedenkveranstaltung.

B.Ra.

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